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Rückblick Vortrag "Das Unsägliche greifbar machen"

Erschütternder Abend mit dem Historiker Professor Friedhelm Boll und der Holocaust Überlebenden Shoshanna Triester -
online bei der Domschule Würzburg

Wer am 4.2. den Zugang zu dem von der Domschule Würzburg in Zusammenarbeit mit pax christi Diözesanverband Würzburg veranstalteten Online-Abend mit dem Thema "Das Unsägliche greifbar machen" gebucht hatte, ahnte zwar, dass das Thema nicht einfach sein würde. Niemand sah jedoch voraus, wie intensiv die einleitenden Aussagen von Professor Friedhelm Boll zu seinen Forschungen über das lebensgeschichtliche Erzählen von Holocaust-Überlebenden werden würde. Durch das Einspielen von zwei Videos mit der Überlebenden Shoshanna Trister, Tel Aviv, und das direkte Gespräch mit der temperamentvollen und zugleich zutiefst erschütterten Frau wurde das Grauen erst richtig transparent.

Professor Boll führte zunächst aus, dass sich im Erzählen immer nur ein kleiner Teil des Erlebten spiegeln würde. Oft handle das Erzählbare von kleinen Inseln der Menschlichkeit in einem ungeheuren, kaum zu begreifendem Meer des Unmenschlichen. "Die volle, uneingeschränkte Wahrheit kennen nur jene, die in den Gaskammern gestorben sind“, zitiert er Imre Kertécz. Viele Überlebende hätten lange gebraucht, um einen kleinen Teil des Erlebten in Worte fassen zu können. Sie stünden ständig im Zwiespalt, das Erlebte zu verschweigen - das würde sie zu "Mittätern" machen (so Elie Wiesel) - oder es zu Erzählen und den unerträglichen Schmerz jedes Mal neu zu erleben. 

Ehe der Autor erzählte, dass bereits die erste Begegnung mit Shoshana Triester einen besonderen Klang hatte. Sie habe gleich zu Beginn bemerkt, dass sie Magen- und Rückenschmerzen habe. Daher habe er ihre Hände genommen und ihr gesagt, sie könne sich auf ihn verlassen, er werde aufhören, wenn sie nicht weitererzählen möge. So habe er die erste Viertelstunde des Interviews ihre Hände in den Seinen gehalten, bis sie sich frei geredet hatte. 

Während der Filme war Shoshanna Trister zugeschaltet, sodass die Zuschauenden miterleben konnten, wie sehr die eigene Geschichte sie quält. "Dass es so lange vorbei ist, macht es nicht leichter - bis heute." Sie erzählt von Pogromen, die sie als kleines Kind in der Ukraine erlebt hat. Eine der schier unglaublichen Geschichten handelte vom Mord am Rabbi von Chodorow. Vor seiner gesammelten Gemeinde wurde der Rabbis in einer Kiste gesperrt, in die lange Nägel von außen nach innen geschlagen waren. Darin wurde der Rabbi zu Tode gefoltert. Shoshanna musste von ihrem Versteck aus sehen, wie zwei SS-Männer ein Kind zerrissen. Das traumatische Geschehen, führte dazu, dass sie monatelang nicht mehr sprechen konnte. Schließlich mündete ihre Erzählung im Bericht über das rund zweijährige Leben in einem Erdloch, dass ihre Familie in der Scheune einer christlichen Unterstützerin anlegen durften. Nur Schweinefutter oder rohen Kartoffeln waren ihre Nahrung. "Uns ist die Haut abgegangen.“ Die Offiziere der roten Armee, wollten erst nicht glauben, dass in der Scheune noch jüdische Überlebende waren. Erst ein jüdischer Offizier aus Moskau befreite sie. 

Als die Filme zu Ende sind, erzählt Shoshanna Trister weiter. Sie fragt: "Warum... die Deutschen, so eine Kultur, warum so viel Hass? Ist da ein Gott im Himmel? - er hört uns nicht". Nach der Zeit in der Erdunterkunft habe sie die Sonne nicht sehen wollen - denn so könnten sie nicht entdeckt werden ...." - Shoshanna klagt auch über die Gegenwart - vor einem Jahr ist ihr Mann gestorben - und jetzt zu Corona-Zeiten ist sie allein. "Das ist das Schwerste" - Aber sie malt, sie schreibt auf und sie erzählt - wie beim Domschulabend oder in Schulen in Tel Aviv. Professor Boll hilft ihr einfühlsam in die Gegenwart zurück. Plötzlich lächelt Shoshanna - und sagt: „Kommt alle nach Tel Aviv - ich zeige euch das Land.“ Ihr Traum ist es, nach Deutschland zu kommen, um auch hier in Schulen vom Holocaust zu berichten. 

Professor Boll und Pax Christi möchte ihr diesen Traum erfüllen. Er kümmert sich um sie, denn er weiß, wie schwer das Leben mit einer solchen Vergangenheit ist. - Shoshanna ist an diesem Abend und in den nächsten Tag nicht allein, sie wird angerufen, Nachbarn stehen bereit. Besonders wichtig für sie waren die Rückmeldungen der Anwesenden: Dank - aber auch das Versprechen "wir erzählen weiter, was wir heute gehört haben.“

Barbara Häußler, 
Mitglied im Diözesanverband von pax christi